Donnerstag, 25. November 2010

Der Tag des Wartens

Ich möchte den gestrigen Tag als Beispiel nehmen, um zu beschreiben, wie anders das Verhältnis zu Zeit und Pünktlichkeit (gibt es ein „deutscheres“ Wort? Ich denke nicht ;]) hier ist:
Da am 1.Dezember der World Aids Day ist hat die Health Unit meiner Partnerorganisation einen Workshop zu dem Thema „Prevention of HIV/Aids“ geplant. Sabine als ausgebildete Krankenschwester sollte mithelfen die PowerPoint Präsentation vorzustellen. Gestern war der (erste) große Tag (was Sabine vorgestern erfahren hat und dann nachmittags noch schnell ihre Folien auswendig lernen musste). Ich wollte die Präsentation unbedingt sehen und bin mitgefahren. Wir sollten den Workshop in einem Krankenhaus halten; um einen besseren Überblick zu schaffen werde ich den weiteren Verlauf des Tages mit entsprechenden Uhrzeiten schildern:
8.15 Uhr: Sabine und ich verlassen das Haus, denn wir müssen um 8.30 Uhr da sein und sollen dann auch direkt weiterfahren.
8.30 Uhr: Wir kommen bei unserer Partnerorga an, sind aber weit und breit die Einzigen.
8.40 Uhr: Wir sind immer noch alleine.
8.45 Uhr: So langsam trudeln ein paar von unserer Truppe ein, der Head des Ganzen (der Organisator) geht schnell noch was kopieren.
9.00 Uhr: Endlich sind alle da, aber wir müssen feststellen, das es keiner einen Transport gebucht hat (wir haben Orgainternen Transport).
9.15 Uhr: Wir haben es uns mittlerweile im Aufenthaltsraum gemütlich gemacht und gehen noch mal die Präsentation durch; vom Head und ein paar anderen Leuten fehlt jede Spur, Transport ist auch noch nicht in Sicht.
9.30 Uhr: Wir warten.
9.45 Uhr: Endlich haben wir einen Fahrer und ein Auto auftreiben können. Die Hälfte quetscht sich ins Auto, von den anderen Leuten fehlt immer noch jede Spur. Wir müssen uns langsam sputen, denn um 10.00 Uhr sollen wir eigentlich mit der Präsentation anfangen.
9.50 Uhr: Wir müssen alle aus dem einen Auto raus und in ein anderes umsteigen. Ein paar von der Truppe tauchen wieder auf, dafür verschwinden andere, um „eben noch schnell was zu holen“. Ich sitze im Kofferraum, weil vorne kein Platz mehr ist (das ist aber eine übliche Transportmethode, so bekommt man viel mehr Leute in ein Auto!).
9.55 Uhr: Wir sind endlich alle anwesend und können losfahren; nach ein paar Sekunden entbrennt ein lautstarker Streit, wessen Schuld die Verspätung sei (schuld war dann letzten Endes eine Dame, die gar nicht anwesend war. Aber es ist immer ein besseres Gefühl, wenn jemand anderes Schuld am eigenen Chaos hat ;]).
10.05 Uhr: Wir erfahren per Handy, dass wir die Präsentation eigentlich schon um 9.00 Uhr hätten halten müssen. Peinlich, peinlich!
10.20 Uhr: Wir kommen am Krankenhaus an. Da wir sowieso schon phänomenal zu spät sind und die Zuhörer alle schon abgehauen sind, freuen wir uns über die dazu gewonnene „Übungszeit“. Sabine und ich teilen dem Head mit, dass wir um spätestens halb drei wieder weg müssen, da wir an dem Tag auch noch die Evaluation von unserer Kunstklasse haben.
11.00 Uhr: Ich stürme den Krankenhauskiosk, weil ich ziemlichen Hunger habe. Man braucht echt 5 Minuten von einer Seite des Krankenhauses auf die andere. Ein Riesenklotz!
11.30 Uhr: Wir proben und proben und ich höre zu. Bin quasi das Übungspublikum.
12.00 Uhr: Ein paar von uns fahren los, um lunch zu kaufen. Ich bleibe mit den Referenten da und friere, denn die Klimaanlage ist sehr kalt eingestellt.
13.00 Uhr: Lunch ist nicht in Sicht und wir fragen uns, ob die Leute bis nach Johannesburg fahren, um uns unser Mittagessen zu kaufen. Die nächste Präsentation soll um 14.00 Uhr anfangen.
13.55 Uhr: Wir finden unsere Lunchleute draußen essend vor; sie saßen schon die ganze Zeit da, unser Essen ist aber noch im Auto. Wir haben keine Zeit mehr es zu holen, denn gleich soll die Präsentation anfangen und wir haben Angst, dass wir zu spät zu unserer Evaluation kommen.
14.00 Uhr: Kein Zuhörer in Sicht. Ein paar der Referenten fehlen auch.
14.10 Uhr: Es sind doch ein paar Zuhörer aufgetaucht (sechs Stück, wenn ich genau sein soll). Es sind Krankenschwestern von der Frühschicht, die ziemlich fertig aussehen.
14.15 Uhr: Wir fangen noch nicht mit der Präsentation an, da ja noch mehr Zuhörer kommen könnten.
14.17 Uhr: Unser Head fängt noch schnell eine neue Folie an.
14.25 Uhr: Auf drängen von Sabine und mir (Evaluation um 15.00 Uhr!) fangen wir doch endlich an. Die Präsentation ist gut, nur die Schwestern wirken teilweise ein wenig abwesend, was man ihnen nach dem langen Tag nicht verübeln kann.
14.50 Uhr: Sabine und ich schleichen uns nach ihrem Vortrag mit unserem Fahrer raus, um noch pünktlich zur Evaluation zu kommen. Im Auto essen wir schnell unseren Lunch.
15.05 Uhr: Mit Ach und Krach haben wir es halbwegs pünktlich geschafft, nur um dann festzustellen, dass bei unserem Kunstkurs tote Hose herrscht und wir zur Evaluation eigentlich gar nicht anwesend sein müssen...

Das war ein ziemlich langer Tag :]... Das Ding ist, das keiner über diese Verspätungen und Verzögerungen einen großen Aufstand gemacht hat (außer wir), sondern das man einfach wieder zu seiner Tagesordnung zurück gekehrt ist. Hier lernt man echt Geduld! (und so ein Tagesablauf ist auch nicht selten...)
Die Präsentation war insofern auch sehr gut, da sie viele Fakten enthalten hat, von denen ich keine Ahnung hatte, z.B. verhindert männliche Beschneidung in 60% der Fällen eine Infektion mit dem HI-Virus (allerdings nicht wenn man für die rituelle Beschneidung hier ein und dasselbe Messer benutzt -__-...). Und auch wenn man mit HIV infiziert ist sollte man nie aufhören Kondome zu benutzen, weil man logischerweise andere anstecken kann, sich aber auch selber noch einmal infizieren kann und die Anzahl des Virus quasi verdoppelt! Es existieren auch viele Mythen rund um den Virus und Aids, so glauben viele Menschen hier, das Sex mit einer Jungfrau HIV/Aids heilen kann. Die Folge von diesem gefährlichen Aberglauben ist, dass selbst Babys vergewaltigt und mit dem Virus infiziert werden. Es geht auch das Gerücht um, das die südafrikanische Regierung Kondome mit dem HI-Virus infiziert habe, um ihre eigenen Leute zu töten und es sicherer sei, ohne Kondom Sex zu haben. Viele Menschen gehen auch nicht zum Arzt, sondern zu sogenannten Sangomas (wenn ich mich nicht irre), also Heilern, die angeblich Aids heilen können (zusätzlich können sie auch bestimmte Körperteile vergrößern und versprechen eine längere Standhaftigkeit. Außerdem können sie einem Job, Frau und Kinder besorgen, wenn man denn will! Die können echt einiges, zumindest wenn man nach den Handzetteln geht, die sie hier immer verteilen ;]). HIV/Aids ist in den Communities hier noch ein großes Stigma und Tabuthema; die Menschen sterben laut Aussage an Tuberkulose und Lungenentzündungen, doch kaum jemand gibt zu, dass diese Krankheiten hier meistens Hand in Hand mit Aids gehen. Oft wird HIV/Aids-Patienten vorgeworfen, dass sie nicht gläubig genug seien und das ihre Krankheit eine Strafe Gottes für Verfehlungen sei (dasselbe wird auch über Menschen mit Behinderungen gesagt). Die Regierung gibt im Jahr sehr viel Geld für Aids-Kampagnen aus, um Menschen aufzuklären und die Mythen verschwinden zu lassen. Man wird hier fast schon mit Gratiskondomen abgeworfen, wobei auch viele Frauenkondome verteilt werden. Viele Männern weigern sich nämlich, Kondome zu benutzen, weil es für sie „unmännlich“ ist, und viele Frauen in dem Punkt nichts zu sagen haben. Frauenkondome lassen sich versteckt anbringen und bieten trotzdem Schutz. Einen Fall von gekränkter Männlichkeit hat Sabine letztens erlebt; als sie nach Hause gegangen ist wurde sie von einem Typen angesprochen. Das passiert hier eigentlich jeden Tag und meistens reicht ein nettes „Hello“ und „Howzit?“ um in Ruhe weitergehen zu können. Sabine hat auch Hallo gesagt, ist aber weitergegangen. Wahrscheinlich hat der Typ sie nicht gehört, denn er hat ihr nachgebrüllt: „WHY DONT YOU WANT TO FUCK BLACK GUYS?“, und zwar sehr ärgerlich. Ich weiß nicht, was hier mit manchen Männern los ist, aber viele scheinen sich für die Krönung der Schöpfung zu halten und meinen, dass man ihnen nach ein paar Worten Smalltalk seine Nummer gibt oder am besten gleich mitkommt (und das meinen sehr viele, mit denen ich geredet habe, sehr ernst!). Das ist nicht der erste Fall dieser Art, den eine von uns erlebt hat, und wird wahrscheinlich auch nicht der letzte sein. Gottseidank trifft man ab und an aber auch sehr nette und freundliche Herren, die nicht gleich im zweiten Satz nach einem Date fragen :]
Gerade Prostituierte haben es hier schwer, weil Vergewaltigungen öfters vorkommen und sie dann noch nicht einmal zur Polizei gehen können, weil sie dann verhaftet werden würden (Prostitution ist in Südafrika strafbar und Prostituierte werden genauso bestraft wie Zuhälter, egal ob es Kinder sind oder sie dazu gezwungen wurden). Letztens hatten wir in unserem Drop-In für Frauen einen Fall, da haben zwei Polizisten eine Prostituierte aufgesucht und mit ihr geschlafen. Sie haben sie aber hinterher nicht bezahlt, und als sie protestiert hat, haben sie sie festgenommen. Natürlich kann man solche Fälle zur Anzeige bringen, aber die Chance, dass die Männer bestraft werden, ist sehr gering. Ich habe selber im Outreach schon Frauen und Männer besucht, die sich verkaufen müssen, weil sie ihre Drogen finanzieren müssen oder einfach, weil sie gezwungen werden. Es ist sehr gefährlich (für beide Parteien) mit Menschen zu sprechen, die durch Menschenhandel in die Prostitution gezwungen wurden (meistens sind diese Menschen aus anderen afrikanischen Ländern), da sich oft der Zuhälter in der Nähr rumtreibt und es bringt auch nichts, die Polizei zu rufen, weil sie entweder gar nicht kommt oder nur mit dreistündiger Verspätung.
Natürlich ist nicht alles in diesem Land so schlimm und schrecklich wie es gerade klingt, aber das sind alles Fälle die entweder ich oder jemand aus meiner WG persönlich erlebt hat, und man ist nach einiger Zeit wirklich desillusioniert. Es deprimiert mich, wenn ich weiß, dass die Frau, mit der ich vielleicht heute geredet habe, aus einem anderen Land kommt, und hierher verschleppt wurde, um mit ihrem Körper Geld für andere zu verdienen und ich einfach nichts machen kann!
Ansonsten geht es mir aber gut, morgen geht’s los auf das Wochenendretreat von meiner Partnerorga und nächste Woche ist dann das Zwischenseminar von meiner deutschen Organisation. Und bald ist auch Weihnachten, wuhu! :D Leider kommt hier bei 39 Grad im Schatten so gar keine Weihnachtslaune bei mir auf... Ist schon lustig, wir waren letztens in einer Mall und überall hing Weihnachtsdekoration rum (boah, ich dachte ja, dass eigentlich nichts den Weihnachtskitsch in Japan krönen könnte Oo... Ich wurde eines Besseren belehrt!) und es liefen Weihnachtslieder... und alle Leute waren in Shorts und Tshirt und haben Eis gegessen :] Wir werden Weihnachten wohl auch schwimmen gehen und grillen. Das wird bestimm toll! :D Die Spinnen halten sich sehr bedeckt, was ich gut finde. Wir müssen jetzt nämlich nicht nur aufpassen, weil sie ekelig sind, sondern weil es auch ziemlich giftige hier gibt. Unser Mentor hatte letztens eine Schwarze Witwe in seinem Garten Oo...

Sonntag, 7. November 2010

Sonntagsblues

Heute ist mal wieder (überraschenderweise :]) Sonntag und alles hängt so rum. Zu warm zum bewegen, obwohl ab und an mal ein frischer Wind weht. Letztes Wochenende waren Amyn, Sabine und ich erst in Hatfield (am Samstag), um dort einen Art Supplies Laden zu finden. Der war auch supersupertoll, nur auch supersuperteuer Oo... Da ich für das Potters Haus (ein Shelter für Frauen) aber unbedingt Farbe brauchte, da am folgenden Donnerstag der Acrylmalkurs beginnen sollte, habe ich mich durch die verschiedenen Angebote gewühlt, um dann für knapp R300 fünf 1Liter Dosen Farbe und einen Haufen Pinsel zu ergattern! ^^ Wuhu! Der Donnerstagskurs war dann auch echt gut, allerdings hatten wir leider keine Leinwände, aber da wir sowieso mit einem Colourwheel angefangen haben, haben wir zuerst auf Pappe gearbeitet. Für meine anderen Projekte habe ich leider immer noch keine Materialien ausser einem UNO-Spiel für das Hospitz (die Patienten stehen aber auch echt drauf :]). Einen Nachtrag zum letzten Artikel habe ich auch noch: es ist keine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, sondern für Menschen mit mental chronical illness, also Depressionen, Borderline etc. Mein Fehler ;].
Am Sonntag nach Hatfield haben wir dann eine Arbeitskollegin von Sabine besucht, in Attridgeville, einem Township. Die Kollegin wohnt zusammen mit ihrem Mann zusammen in einer Shackgegend, also quasi Wellblechhütten. Der Unterschied zu Soweto, den ich (nicht nur dort, sondern auch zB in Soshanguve) festgestellt habe, ist, dass mir Soweto (der Teil mit den Shacks) sehr dreckig vorgekommen ist. Die Gegenden, die ich aber danach gesehen habe, waren zwar auch verarmt, aber immer sehr sauber und gepflegt, der Vorgarten war gefegt (kein Gras hier, sondern nur festgestampfte Erde :]) und im Haus war es auch supersauber. Als wir von der Kollegin abgeholt wurden und durchs Township gegangen sind, da habe ich mich schon echt seltsam gefühlt. Man wurde die ganze Zeit angesprochen und auch angestarrt und ein Mann, mit dem ich mich unterhalten habe, hat zuerst nicht verstanden, dass wir freiwillig in unserer Freizeit zu Besuch sind, sondern er dachte, dass wir socialworker oder ähnliches seien. Die Besuchsrate von "Weissen" in schwarzen Townships ist so gut wie nichtvorhanden. Ich bemühe mich immer sehr, nicht die Wörter "schwarz" und "weiss" und "coloured" zu benutzen, da es zu einer noch grösseren Trennung führt, aber diese Begriffe werden hier von allen sehr frei verwendet und die Trennung ist teilweise wirklich noch stark. Manchmal habe ich das Gefühl, dass manche Menschen gar nicht wollen, dass sich die Gruppen aneinander annähren. Und was mir persönlich auch noch aufgefallen ist, dass die weissen Südafrikaner sich nicht ihren schwarzen Brüdern und Schwestern annähren (diese Begriffe werden oft verwendet und ich finde sie sehr schön ^^), sondern umgekehrt. Aber leider kann man knapp 50 Jahre Geschiche nicht einfach ausradieren. Das wäre zu schön um wahr zu sein.
Auf jeden Fall hatten wir einen schönen Sonntag, sind mit dem Minibus gefahren, haben die Landschaft gesehen. Unter der Woche wird immer gearbeitet und mittlerweile macht mir der 45 minütige Fussmarsch auch nichts mehr aus. Nach der Arbeit gehe ich manchmal noch in die Library, die riesig ist! Aber man darf sich nur sechs Bücher auf einmal ausleihen :P...
Gestern waren wir im Kino in der Brooklyn Mall (teuer, teuer!), aber es war lustig :] Wir haben EatPrayLove geguckt, und danach haben wir noch einen Kaffee und Hot Chocolate in einer Bar getrunken (was keine gute Idee war, denn dann lag ich bis 3 Uhr nachts wach Oo).  Und nun ist nichts los ^^ Ich schaue mich gerade hier nach Ausbildungsplätzen um, mal gucken, was dabei rumkommt.
Aber die Gewitter hier sind echt der Hammer! Da geht die Post ab! :D